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DER PARISER VERTRAG IN DER HEUTIGEN POLITISCHEN LANDSCHAFT EUROPAS

Von Botschafter Dr.Peter JANKOWITSCH
Bundesminister a.D.

Spannungen und Konflikte ,die manchmal über Jahrhunderte europäische Nationen entzweit und immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen,Weltkriege eingeschlossen , geführt haben,waren später oft Gegenstand grosser und umfänglicher Vertragswerke mit langer Entstehungsgeschichte.Im Verhältnis zwischen Österreich und Italien , in der Bewältigung eines der letzten, deswegen aber nicht weniger gewichtigen Konflikte, den die spannungs- und krisenreiche
Geschichte der Beziehungen dieser beiden Länder hinterlassen hatte, des Konfliktes um Südtirol,sollte diese Rolle und Funktion einem knappen Stück Papier übertragen werden, das von zwei ungleichen Verhandlungspartnern mehr oder minder in den Korridoren der Pariser Friedenskonferenz von 1946 eher hastig entworfen wurde:dem Pariser Vertrag, den der Ministerpräsident eines vom Westen schon wieder heftig umworbenen und voll souveränen Italiens einerseits, der Aussenminster eines nach wie vor besetzten und aussenpolitisch kaum mündigen Österreich andererseits aushandelten.
Es hängt sicher also auch mit der Entstehung dieses Dokuments – ebenso wie mit der Atmosphäre, in der es verhandelt werden musste – zusammen,dass sich Einsicht in seine wirkliche Bedeutung erst nach und nach einstellen konnte.
Die scharfe Kritik , der der Pariser Vertrag in Österreich wie in Südtirol in seinen Anfängen begegnete ,hing natürlich auch damit zusammen, dass sein scheinbar so unbefriedigender Inhalt an den Ausgangsforderungen gemessen wurde, mit denen das befreite Österreich und Südtirol an die Südtirolfrage herangegangen waren,nämlich die Revision der seit 1918 bestehenden Brennergrenze und die Rückkehr Südtirols nach Österreich.Dieser Forderung hatten allerdings die allierten Mächte von 1945 ,so wie auch ihre Vorgänger 1918,nach anfänglichem Zögern vor allem auf britischer und amerikanischer Seite eine eindeutige Absage erteilt.
Es ist müssig, heute darüber zu spekulieren, wie realistisch auch 1945 und 1946 die Aussichten auf eine solche Lösung waren, für die es jedenfalls im Lager der in dieser Frage entscheidenden Westalliierten kaum nennenswerte Befürworter gab.Zwar war Österreich in der Moskauer Erklärung von 1943 die Wiederherstelung seiner Stellung als freier und unabhängiger Staat verheissen worden, offenbar aber nur in den Grenzen von 1937.Da es auch keine österreichischec Exilregierung gab,konnten allfällige Ansprüche an eine Nachkriegsordnung nicht artikuliert werden ,während Italien immerhin schon ab 1943 in das Lager der Allierten eingeschwenkt war und seine Vorstellungen dort vorbringen konnte.
Die österreichische Südtirolpolitik war daher sehr lange ausschliesslich auf ein einziges Ziel ausgerichtet und hatte offenbar keine alternativen Pläne für den Fall eines Scheiterns entwickelt,während man sich in Bozen darüber offenbar schon Gedanken gemacht hatte und mehrere Varianten ins Spiel bringen wollte.
In dieser Perspektive erschien der Pariser Vertrag daher als eine schwere aussenpolitische Niederlage.
Tatsächlich war Österreich mit dem Abschluss dieser Vereinbarung, über deren rechtliche Natur lange gerätselt und gestritten wurde, ein nicht unbeträchtlicher Durchbruch auf einem damals weitgehend verödeten Feld, nämlich dem des Minderheitenschutzes ,gelungen.
Im Gegensatz zu den Pariser Vororteverträgen von 1919 enthalten die nach 1945 abgeschlossenen Friedensveträge mit den ehemaligen Verbündeten der Achsenmächte nämlich keinerlei Bestimmungen über Minderheitenschutz.Das hängt zum einen damit zusammen, dass in der Welt von 1945 dem Schutz der individuellen Grund- und Freiheitsrechte der Vorzug vor dem Schutz kollektiver Rechte gegeben wurde.Verabschiedeten die Vereinten Nationen schon im Dezember 1948 ihre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die zur Grundlage eines weitgespannten Netzes von Vertragswerken und auch Ueberwachungsmechanismen fuer den Schutz aber auch die Weiterentwicklung individueller Grund- und Freiheitsrechte werden sollten, so fehlt bis heute ein vergleichbares globales Instrument für den Schutz nationaler Minderheiten.
Ein noch wichtigerer Grund, warum die Siegermächte von 1945 sich scheuten, das Thema des Schutzes nationaler Minderheiten auf die internationale Tagesordnung zu setzen, waren die massiven Grenzänderungen und Bevölkerungsverschiebungen ,die unter sowjetischem Einfluss vor allem im Osten Europas stattfanden und die ethnische Zusammensetzung dieser Gebiete radikal änderten.Innerhalb der neuen Grenzen in Ost- und Mitteleuropa sollten ethnisch homogene Staaten entstehen, deren frühere deutsche Bevölkerungen im Zuge ethnischer Säuberungsmassnahmen von ungeheuren Ausmassen brutal vertrieben wurden.Von solchen ,mit hohen menschlichen Opfern begleiteten Vertreibungsmassnahmen waren aber auch grosse deutsche Bevölkerungsgruppen und Minderheiten in der Tschechoslowakei und Jugoslawien ,teils auch in Ungarn und Rumänien betroffen,die damit in die Verantwortung für die rücksichtslosen Eroberungskriege des Dritten Reiches einbezogen werden sollten.
Vor diesem Hintergrund nimmt eine Vereinbarung wie der Pariser Vertrag, in dessen Mittelpunkt der Schutz kultureller und sprachlicher Rechte sowie die Gewährung einer speziellen Form der Selbstregirung steht eine besondere und für die damalige Zeit ganz und gar ungewöhnliche Rolle ein.
Sie wird noch durch den Umstand verstärkt, dass der Vertrag damit, dass er die Mehrheit der Südtiroler, die sich 1939 ,um der Entnationalisierung zu entgehen, für das Deutsche Reich entschieden hatten, in ihre Rechte als Staatsbürger wiedereinsetzt, ja erst die Voraussetzungen für den Genuss dieser Schutzmassnahmen schafft.
Als einzige unter den deutschsprachigen Minderheiten Mittel- und Osteuropas blieb den Südtirolern damit ein Schicksal erspart, wie es nach 1945 Millionen vertriebener deutschsprachiger Bürger europäischer Staaten treffen sollte.
Dass eine solche Regelung zustande kommen konnte war neben der Zähigkeit mit denen die Südtiroler, von einem wiedererstandenen Österreich nach Kräften unterstützt, ihre Sache verteidigten ohne Zweifel auch ein Verdienst der westlichen Alliierten, und hier wieder vor allem das Grossbritanniens.Die britische Labour-Regierung dieser Tage, die sich auch in anderen Fragen österreichischen Anliegen gegenüber als offen und hilfreich erwies ,wobei auch persönliche Kontakte Vizekanzler Adolf Schärfs nach London wirksam waren, zeigte sich auch in der Frage Südtirols gerade in einem Moment interessiert, nach dem die alliierten Aussenminister eine Grenzänderung in aller Form abgelehnt hatten:sie war es daher vor allem ,die auf eine Verständigung zwischen Österreich und Italien drängte,nicht nur um ein Fortschwelen der Südtirolfrage in einer europäischen Nachkriegsordnug zu verhindern.Ebenso sollte ein Abdriften eines vom Westen enttäuschten Österreichs in östliche Richtung vermieden werden.
Britischer Druck vor allem war es also, der Gruber und De Gasperi in Paris zusammenführte und schiesslich am 5.September 1946 zur Unterzeichnung ihres legendären Abkommens führte,das dann – in einer kurz umstrittenen Form - auch Teil des Friedensvertrages mit Italien werden sollte.
Erst spätere Entwicklungen sollten allerdings erweisen,in welcher Weise das Gruber-De Gasperi Abkommen tatsächlich zum Grundstein einer wirklichen Autonomie Südtirols, damit aber auch zur Grundlage eines neuen Verhältnisses zwischen Österreich und Italien werden konnte.
Tatsächlich waren allerdings die ersten Jahre seiner Verwirklichung und Durchführung von einer langen Serie von Missgriffen ,kostspieligen Verzögerungen und Umwegen begleitet, ,die nicht nur in der Innenpolitik der betroffenen Länder begründet waren.Ebenso schwierig war auf beiden Seiten die Überwindung eines in einer langen Geschichte entstandenen kulturellen Gegensatzes der Weg zu ,einer nationalen Verständigung,für die die Institutionen von Nationalstaaten nur unzureichende Voraussetzungen anbieten konnten.
Andererseits stand in Italien der Gedanke regionaler Autonomien in krassem Gegensatz zu einer Kultur des Zentralstaates,die sich durch die Geschichte der Einigung Italiens im 19.Jahrhundert gebieterisch aufzudrängen schien.
Dennoch hat die erste verfassungsgebende Versammlung Italiens noch 1948 solche autonome Regionen geschaffen, sie allerdings im Falle Südtirols auf die ganze Provinz Trient ausgedehnt und damit nicht nur in den Augen Österreichs den Pariser Vertrag ausgehöhlt.
Nachdem die folgenden Jahre die geringe Eignung einer solchen Lösung für die Befriedigung der Aspirationen der Südtiroler gezeigt hatten wurde der Ruf nach einer wirklichen Autonomie,ausgehend auch von einer der grossen Kundgebungen der Südtiroler,die 1957 in Sigmundskron stattfand, immer lauter.
Österreich machte sich diese Forderungen zu eigen und wählte, nachdem sich der bilaterale Weg als wenig produktiv erwiesen hatte, schliesslich den Weg der Internationalisierung durch eine Anrufung der Vereinten Nationen.Zwei Resolutionen der Generalversamlung der Vetreinten Nationen , 1960 und 1961 nach langen Debatten, in denen Bruno Kreisky das Wort führt, verabschiedet, machten den Weg frei für neue Verhandlungen zwischen Österreich und Italien.Sie sollten zur Beilegung der Streitigkeit über die Auslegung des Pariser Vertrages führen, der damit neuerdings als wichtigster Grundstein für die Sicherung der Lebensrechte der Südtiroler Anerkennung findet.
Diese Verhandlungen, denen sich besonders Bruno Kreisky, oft einer Einigung mit bedeutenden italienischen Staatsmännern wie Giuseppe Saragat sehr nahe, immer wieder gewidmet hat, münden schliesslich erst 1969 in eine Einigung über ein Paket mit 137 Massnahmen zugunsten Südtirols zusammen mit einem Operationskalender zur Durchführung und Absicherung dieser Massnahmen.
Grösse und Bedeutung dieser Aufgabe und die tatsaächliche Ausgestaltung der Autonomie Südtirols mit allen wichtigen Inhalten erforderten eine weitere Serie zäher Verhandlungen zwischen Rom und Südtirol, in denen immer wieder Österreich ,,eingedenk seiner Rolle als umsichtige Schutzmacht, seinen Einfluss geltend machen konnte.
Dass diese Verhandlungen schliesslich erfolgreich abgeschlossen werden konnten ist neben dem Verhandlungsgeschick und der Einsatzbereitschaft grosser Vertreter Südtirols, unter denen besonders Silvio Magnago herausragt auch der Einsicht und Komprossmissbereitschaft italienischer Staatsmänner wie Giulio Andreotti, Bettino Craxi oder Flaminio Piccoli zu verdanken.
So konnten, nachdem im April 1992 Italien Österreich die Erfüllung der Paketbestimmungen mitgeteilt hatte die beiden Länder den Vereinten Nationen eine Erklärung über die Beilegung ihres Streites übergeben .
Dieser Erklärung ging sowohl eine Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei als auch eine grosse Südtiroldebatte des österreichischen Nationalrates voraus, der in einer am 5.Juni 1992 angenommenen Entschliessung feststellen konnte, dass „das 1969 zwischen Österreich und Italien vereinbarte Paket von Massnahmen zugunsten der österreichischen Volksgruppe in Italien derart als erfüllt anzusehen ist,dass Südtirol heute in seinem ethnischen, kulturellen,sozialen und wirtschaftlichem Bestand gesichert ist.“
In welchem Geist der Nationalrat diese Erklärung abgegeben hat, zeigt auch ein weiterer Teil der Entschliessung ,in dem er feststellt, „dass die gedeihliche Entwicklung der österreichischen Volksgruppe in Italien in den letzten Jahren in enger Korrelation zur Verbesserung der österreichisch- italienischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit gestanden ist.Der Nationalrat begrüsst die Bemühungen zur mehrsprachigem Zusammenleben,interkulturellem Austausch beri Erhaltung der kulturellen Identität jeder Volksgruppe ,grosszügiger Rücksichtnahme auf die „anderen“und ersucht die Bundesregierung,diese Bestrebungen zu fördern, im Bewusstsein,dass eine gemeinsame Verantwortung aller Volksgruppen für Südtirol ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Paketbestimungen sein wird.“
Auch die Jahre nach dem Abschluss des Pakets von 1969 waren gute Jahre für die Autonomie Südtirols auf der Grundlage des Pariser Vertrages.Ihre Bestimmungen und Möglichkeiten fügen sich heute auch gut in das neue europäische Gefüge ein, das mit dem Entstehen und dem Ausbau der Europäischen Union entstanden ist.
Ein Dokument wie der Pariser Vertrag gewinnt damit aber auch vorbildhafte Bedeutung für eine neue europäische Landschaft, in der das friedliche Zusammenleben dreier Sprach- und Volksgruppen auf einem engen Gebiet,damit aber auch eine Brückenfunktion zwischen grossen Kulturen und Wirtschaftsräumen keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt.Dazu kommt auch der gerade von Südtirol vorgelebte verantwortungsvolle Umgang mit seiner grosszügigen und völkerrechtlich abgesicherten Autonomie ,die immer als eine Einrichtung verstanden wurde, die den Bürgern aller drei Südtiroler Volksgruppen zugute zu kommen hat.Die Autonomie Südtirols hat damit heute in allen Volksgruppen Südtirols eine breite Basis der Zustimmung erlangt,wie sie in ihren Anfängen kaum denkbar gewesen wäre.
Mehr als eine Konvention, mehr als eine Vereinbarung, nicht zuletzt auch solche im Rahmen der OSZE, weisen ja heute drauf hin, dass Rechte von Volksgruppen und Minderheiten in Europa zum wichtigsten Bestand von Grund- und Freiheitsrechten gehören.Wer daher der demokratischen Rechtsgemeinschaft Europas angehören will, der muss die Rechte seiner Volksgruppen und Minderheiten so gründlich respektieren, wie das in Italien nun der österreichischen Volksgruppe zugestanden ist.Österreich und Italien haben damit einen essentiellen Bestandteil eines volksgruppenrechtlichen „acquis communautaire“geschaffen,wie er jedenfalls in Zukunft die
Qualität europäischer Demokratien kennzeichnen wird.
Ebenso hat sich heute auch auf der Basis dieses Autonomieverständnisses und Erinnerung an eine gemeinsame Tiroler Geschichte ein neues Verhältnis zwischen den früher nur auseinanderstrebenden Teilen der Gesamtregion ergeben.
Der Pariser Vertrag, zusammen mit allen ihm folgenden Vereinbarungen und Einverständnissen zwischen Österreich und Italien ist und bleibt darüber hinaus eine der festesten Grundlagen auch für die heutigen Beziehungen zwischen Österreich und Italien.Den grossen Rahmen für diese Beziehungen bietet heute natürlich die Europäische Union, in der gerade diese beiden Länder durch ein breites Gewebe gemeinsamer Interessen verbunden sind.Dazu wird auch in Zukunft die gemeinsame Sorge um Südtirol gehören,das heute nicht nur ein Element der Verbindung zwischen Österreich und Italien darstellt, sondern auch durch seine Bedeutung als europäisches Modell hervorgehoben ist.
Keinem der Beteiligten ,wahrscheinlich auch nicht Karl Gruber und Alcide de Gasperi, seiner wahren Bedeutung bewusst, ist mit dem Pariser Vertrag in all seiner Unvollkommenheit ein Stück guter europäischer Geschichte geschrieben worden, das auch noch 6o Jahre nach seiner Entstehung nichts von seiner damaligen Aktualität verloren hat.




 
Peter Jankowitsch